DIE BRABANTER TORFKANÄLE ALS FOSSILES VERKEHRSSYSTEM AUS DER ZEIT DES SPÄTMITTELALTERS UND DER FRÜHEN NEUZEIT

drs. K.A.H.W. Leenders

Summary

(Siedlungsforschung. Archäologie - Geschichte - Geographie 4, 1986, S. 103-125)

In diesem Beitrag wollen wir den Faktoren nachgehen, die für die unterschiedliche Erhaltung der Torfkanäle Brabants in der Kulturlandschaft bestimmend waren.

1. Einleitung

Beim Thema "Verkehrswege und ihre Bedeutung für die Kulturlandschaft" denken wir in erster Linie an den Einfluß, den moderne Autobahnen, Hochgeschwindigkeitseisenbahnlinien, große Kanale und See- und Flughäfen auf die Kulturlandschaft haben. Durch die Großzugigkeit und Aktualität dieser Systeme ist der Einfluß direkt zu erkennen.

Anders ist dies bei Verkehrssystemen der Vergangenheit, die nicht mehr in Betrieb sind, zumal wenn die Transportart, wofür die Systeme gebaut worden sind, nicht mehr existiert. Gründliche Erforschung, sowohl in den Archiven als auch im Gelände, ist notwendig, um die Reste der Systeme, die nicht mehr in Betrieb sind, zu erkennen . Gleichzeitig kann dann die Bedeutung, die diese Systeme noch für die heutige Kulturlandschaft haben, festgestellt und bewertet werden. Aufgrund dieser Bewertung kann man für die Erhaltung und eventuelle Wiederherstellung dieser kulturhistorisch wertvollen Elemente plädieren.

Ein Beispiel eines derartigen alten Verkehrssystems ist das Gefüge von Torfkanälen, das zwischen 1250 und 1750 im niederländisch-belgischen Grenzgebiet nordöstlich von Antwerpen die umfangreiche Ausfuhr des dort gewonnenen Torfes ermöglichte. Wlr haben dieses Torfkanalgefüge im Rahmen unserer ausführlichen Forschungen uber die Lage und den Abbau der heute verschwundenen Moore dieses Gebietes untersucht[2]. Die dafür durchgeführte Inventur der Torfkanäle war gleichzeitig die Grundlage des Abschnitts "turfvaarten" im Bericht über die kulturhistorisch wertvollen Landschaftselemente, den J. Renes für den "Provinciale Planologische Dienst van Noord-Brabant" erstellt hat (Renes 1985). Auf diese Weise kann unsere Torfkanäle-Untersuchung nun schon für die Regionalplanung direkt von Bedeutung sein. In diesem Beitrag wollen wir den Faktoren nachgehen, die für die unterschiedliche Erhaltung dieser Torfkanäle in der Kulturlandschaft bestimmend waren. Bevor wir uns mit dieser Frage beschäftigen, behandeln wir zuerst den geographischen und historischen Hintergrund dieser Kanäle und die Form, in der sie erhalten sind.

2. Moore und Kanäle

Das Untersuchungsgebiet liegt auf beiden Seiten der belgisch - niederländischen Grenze nordöstlich von Antwerpen (s. Abb. 1) und hat einen Umfang von etwa 50 mal 50 km, also rund 250000 ha. In diesem Gebiet herrschen vor allem Sandböden vor. Im Norden grenzt es an das nordbrabantisch-seeländische Seekleigebiet. In südlicher Richtung steigt der Boden allmählich bis auf 30 m uber NN an. Im Westen bildet ein altes Erosionskliff die Grenze zum Seekleigebiet. Der gröBte Teil des Untersuchungsgebietes gehörte zum mittelalter- lichen Herzogtum Brabant.

Vor der Kultivierung bedeckten Moore große Teile des Gebietes. Hierdurch waren die Böden viel feuchter als heutzutage. Den Umfang und die Lage dieser nun meistens verschwundenen Moore haben wir in den letzten Jahren untersucht. Dabei wurde auch ein heute fossiles Verkehrssystem, ein Netz von Torfkanälen, analysiert. Auf die Bedeutung dieses Verkehrssystems für die Kulturlandschaft möchten wir hier näher eingehen.

Die Erfassung der ehemaligen Torfkanäle basiert sowohl auf schriftlichen Quellen und Karten als auch auf den noch im Gelände vorhandenen Spuren. Für diese Untersuchung wurden umfangreiche Archiv- und Bibliotheksforschungen durchgefuhrt. Mit W.A. van Ham wurde eine einschlagige Sammlung von 1600 Urkundentexten für dieses Gebiet zusammengestellt, die besonders für die Periode bis 1340 wichtig sind. Für die folgende Zeit stehen Lehns- und Zinsregister zur Verfügung, von denen sehr viele bearbeitet worden sind. Sogar alte Rechnungen über den Moorabbau (seit 1287) wurden aufgefunden. Ab circa 1500 gibt es auch Karten. Für die späteren Perioden sind ebenfalls die Korrespondenz- und Prozeßakten von Interesse.

Die meisten Moore liegen im nordwestlichen Teil des Untersuchungsgebietes und umfassen eine Fläche von etwa 90000 ha oder 36 % des Gebietes (Abb. 2). Der größte Teil dieser Moore wurde seit der Mitte des 13. Jahrhunderts zur Torfproduktion abgegraben. Ein anderer Teil wurde für die Salzproduktion genutzt und der Rest wurde für landwirtschaftliche Zwecke urbar gemacht. Die Torfproduktion nahm im nördlichen Teil der Grafschaft Flandern im späten 12. Jahrhundert stark zu, nachdem der Graf seinen Untertanen untersagt hatte, die gräflichen Wälder abzuholzen. Durch einen starken wirtschaftlichen Aufschwung und die wachsende Bevölkerung nahm einerseits der Bedarf an Brenn- und Bauholz sehr zu. Andererseits wurde das Waldareal durch Kultivierung verkleinert. Die Torfproduktion bot einen Ausweg aus dieser Energiekrise (Verhulst, 1964). Außerdem wurde der Torf des Untersuchungsgebietes seit 1264 auch von Flamen gewonnen.

In den Orten, wo der Torf aus dem Moor gewonnen wurde, ist dieser nur teilweise verbraucht worden. Der meiste Torf wurde mit Schiffen vor allem in die Städte Brügge, Gent und Antwerpen transportiert. Nach 1600 waren Seeland und Antwerpen die wichtigsten Absatzgebiete. Für den Transport wurden zahlreiche Torfkanäle oder "turfvaarten" gegraben, die die Moore mit den größeren naturlichen Gewässern verbanden.

Das Wort "turfvaart" weist auf ein Gewässer, auf dem mit Schiffen gefahren ("varen"; "vaart") wird, um Torf "turf" zu transportieren. So wie die Kanäle der anderen Moorgebiete, waren auch die Torfkanäle anfanglich für die Entwasserung der Moore von Bedeutung. Spater mußte man allerhand Maßnahmen treffen, um genügend Wasser in den Torfkanälen zu halten, so daB sie befahrbar blieben (siehe unten). Sobald der Schiffsverkehr aufhörte, wurden die Torfkanäle nicht mehr unterhalten; auch dies ist ein deutlicher Hinweis auf die Priorität als Verkehrsweg. Außerdem wurden Gewässer, die für die Entwässerung gegraben wurden, in diesem Gebiet als "riool" oder "sloot" und nicht als "vaart" bezeichnet.

Die wichtigsten Torfkanäle erreichten eine Gesamtlange von gut 320 km. Zu diesen Kanälen gehörten Hunderte von Schleusen und drei Aquädukte. Die ausgedehnte Infrastruktur und die für diese Zeit hochrangige Technik sind ein Indikator für die Bedeutung der Torfproduktion in der früh blühenden Wirtschaft der Niederlande. Die kommerzielle Torfproduktion wurde um 1740 beendet, weil es keine wirtschaftlich abbaubaren Moorflächen mehr gab. Reste der Torfkanäle sind heute noch Zeugen dieser Vergangenheit. Manche Kanäle sind besonders gut erhalten, von vielen anderen sind nur noch Spuren zu erkennen, einige sind sogar verschwunden.

3. Die Entwicklung des Kanalnetzes

Um das Netzwerk der Torfkanäle uberschaubar zu machen, benützen wir den Begriff "Torfkanalsystem". Hierunter ist ein Hauptkanal mit den Zubringerkanälen und den zugehörigen Einrichtungen, wie Schleusen und Aquädukten, zu verstehen, durch bzw. uber welche der Torf zum Exporthafen transportiert wurde. So können wir 19 Kanalsysteme unterscheiden. In den Quellen wird der Begriff Torfkanalsystem nicht benutzt. Man nannte den Hauptkanal eines Torfkanalsystems einfach nach dem dazugehörigen Hafenort. Wo der Kanal in einen natürlichen Wasserweg mündete, lag immer ein Umschlaghafen. Dort wurde am Kai die Qualität des Torfes festgestellt und Steuern sowie ein Beitrag zur Instandhaltung des Kanals gezahlt. Manchmal wurde der Torf auch schon dort verkauft.

Darauf lud man den Torf in Fluß- oder Seeschiffe für den weiteren Transport um. Der Hauptkanal verband den Exporthafen mit dem Moor. Im Moor mündeten zahlreiche Neben- oder Zubringerkanäle in den Hauptkanal. Entlang der Nebenkanäle lagen die Torffelder, jedes mit seinem eigenen Kai. Die Torfkanäle waren an sich nur schmal und gerade breit genug, um einen Torfkahn durchzulassen. Zwei Meter über der tiefsten Stelle hatten sie eine Breite von 4 bis 6 m. Die Ufer hatten eine stark wechselnde Neigung, wie dies (in Abb. 3) die Grenze zwischen den nicht gestörten Bodenschichten und den jungeren Auffüllungsschichten zeigt. In diesen Querschnitten sind sowohl der vertikale als auch der horizontale Maßstab gleich.

Wo der Kanal im Moor gegraben wurde, traten, nachdem das Moor abgetorft war, Schwierigkeiten auf. Der Kanal verlief dann durch eine Niederung zwischen zwei Streifen Restmoor. Auch aus diesen Reststreifen wurde das Moor noch abgegraben, aber dann wurden die Löcher mit Sand und Heideschollen ausgefüllt. Dadurch entstanden an beiden Seiten des Kanals zwei Dämme.

Der Wasserstand der Kanäle konnte mit Schleusen (spuien) geregelt werden. Die Schleusen hatten nur ein Tor und können somit nicht als Kammerschleusen betrachtet werden (siehe dazu den Beitrag von Troitzsch in diesem Band). Die durchschnittliche Stauhöhe betrug etwa 1,5 m. Wenn die Schleusentore geöffnet wurden, strömte viel Wasser aus der oberen Kanalhaltung in die darauffolgende niedrigere Haltung. So verbrauchte man für die vollgeladenen Torfkahne viel Wasser, um genugend Tiefgang zu bekommen. Bei der Ruckfahrt der leeren Kähne war jedoch noch mehr Wasser nötig. Um den Wasserverbrauch zu beschränken, fuhren die Kähne in Konvois, die 25 bis 75 Torfkähne umfaßten. Um in kurzer Zeit über viel Wasser verfügen zu können, wandelte man die abgetorften Moorgebiete in Regen- und Grundwasserbehälter um.

Der Torftransport durch die Torfkanäle geschah mit Torfkähnen. Das waren im 16. Jahrhundert 14 m lange, schmale Schiffe mit flachem Boden, deren Länge um 1700 bis auf 19 m zugenommen hatte. Diese Torfkähne konnten etwa 43 bis 68 Kubikmeter Torf transportieren. Um 1700 kostete ein Kahn durchschnittlich 525 Gulden. Ein Konvoi von 75 Torfkähnen hatte eine Lange von etwa 1500 m. Da die Schleusen meistens 800 m voneinander entfernt waren, benutzte ein Konvoi dauernd drei, manchmal auch mehr Kanalhaltungen. In guten Jahren wurden durch ein Torfkanalsystem 1300 Schiffsladungen oder 70 000 Kubikmeter Torf befördert. Das sind 26 Konvois von jeweils 50 Kähnen, so daß wahrend der Sommersaison jede Woche ein Konvoi hin- und zuruckfuhr. Als Ruckfracht beförderten die Torfkähne "Straßendünger" aus den Städten in die Moore. Dieser Düngerimport fuhrte jedoch nur zu relativ kleinen Urbarmachungen, die meistens an den alten Torfkanälen stattfanden. Auf den Kanalufern, den sogenannten "vaartkanten", hatte man Wege für das Ziehen der Torfkähne gebaut. Diese Treidelpfade waren auch für den Landverkehr in den Mooren von Bedeutung. Dort pflanzten die Torfunternehmer Bäume, deren Holz zur Instandhaltung der Schleusen, Düker, Aquädukte, Brücken und Torfkähne diente (Abb. 4.). An einzelnen Stellen ließen sich Torfarbeiter und auch Bauern auf den "vaartkanten" nieder. So entstanden auf die Dauer kleine Siedlungen mit Namen wie "Vaartkant" oder "Zandspui". Der letzte Name deutet auf eine nah gelegene Schleuse etwa 1 Meter pro Kilometer mußten viele Kanäle eine erhebliche Höhendifferenz überwinden. Sechs von den 19 Torfkanalsystemen erreichten eine Höhe von 10 m uber NN, vier von 13 m und zwei sogar von 16 m.

Die Torfkanäle wurden im Laufe von 460 Jahren allmählich ausgebaut. Das geschah in erster Linie immer wieder durch neue Torfunternehmer. Ein Gesamtplan wurde vorher nie erstellt. In den Verkaufsbedingungen des Moores wurde aber festgelegt, daß die Unternehmer das Recht hatten, einen Torfkanal zu dem nachsten bereits vorhandenen Kanal oder zum offenen Wasser zu graben. Sie mußten den Bau selbst besorgen und finanzieren. Wichtig ist, daß sie immer verpflichtet waren, anderen oder zukünftigen Unternehmern, die neue Kanäle an die bereits bestehenden anschließen wollten, dies zu erlauben. Für die Baukosten mußten die anderen Unternehmer selbst aufkommen . Auf diese Art und Weise wurde gewährleistet, daß jeder Torfunternehmer nur seinen eigenen neuen Kanalteil zu finanzieren hatte.

Das Ergebnis dieser Entwicklung war ein unregelmäßiges Netz von Kanälen, das deutlich darauf hinweist, daß es ohne Gesamtplan und während einer langen Periode entstanden ist (Abb. 5). Das Torfkanalnetz in Brabant unterscheidet sich deutlich von dem Kanalnetz im Nordosten der Niederlande. Dort wurden in einem großen Gebiet und nach einem geregelten Schema Kanäle für die Entwässerung des Moores und den Transport des Torfes gegraben (Abb. 6). Besonders die Stadt Groningen hatte die Planung fest im Griff. Das Ergebnis war eine typische Fehnkolonie-Landschaft mit linearen Strukturen. Ein drittes Gebiet mit Torfkanälen ist der nördliche Teil der mittelalterlichen Grafschaft Flandern, heute der nördliche Teil der belgischen Provinz Ostflandern, und das niederländische Seeländisch-Flandern. Dort hatte das Torfkanalnetz wie in Brabant eine unregelmäßige Form (Abb. 7). Ein Unterschied zu Brabant ist, daß dort die Kanäle auch direkt mit den Städten Gent und Brügge verbunden waren.

In Brabant kümmerten die Landes- und Lokalherren sich kaum um den Torfkanalbau. Sie vergaben, wie wir bereits bemerkten, das Recht, einen Kanal zu graben und stellten das Land zur Verfügung, sofern es sich nicht im Besitz Dritter befand. In letzterem Fall mußten die Torfunternehmer das Land gegen einen angemessenen Preis kaufen. Nur die Festlegung einer einzigen Trasse kam durch die persönliche Bemühung des Herrn von Breda und des Abtes von Tongeren zustande. Der Bau eines sehr langen Kanals konnte die finanziellen Möglichkeiten der Torfunternehmer übersteigen. Die Landesherren gaben jedoch selten finanzielle oder materielle Unterstützung. Durch das Anschließen von kurzen neuen Kanälen an ältere konnte jedoch bei relativ geringen Kosten ein neues Torfgebiet erschlossen werden. Im ersten Jahrhundert der Torfgewinnung (13.Jh.) wurden schon viele Torfkanalsysteme angelegt (Abb. 8). In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts waren nicht weniger als 15 der insgesamt 19 Systeme in Betrieb, aber diese Systeme hatten ihre Maximallänge noch lange nicht erreicht. Seit 1400 verlangsamte sich der Bau von Torfkanalsystemen, und man verlängerte die noch funktionierenden Kanäle. Die durchschnittliche Länge der Kanäle nahm ständig zu, von etwa 4 km im 13. Jahrhundert bis nahezu 40 km in der Mitte des 18. Jahrhunderts (Abb. 9). Nur während des 80-jährigen Krieges (1568-1648) ist ein Rückgang der Kanallänge durch die Kriegsereignisse zu bemerken. Die Zunahme der Kanallänge zeigt deutlich, daß man immer weiter ins Inland vorrücken mußte, um neue Moorgebiete für die Torfproduktion zu erschließen.

Die Gesamtlänge der betriebsfähigen Hauptkanäle ist ein guter Maßstab für den Umfang der verschiedenen Torfkanalsysteme (Abb. 10). Sie nahm im 13. Jahrhundert erst langsam zu. Nach einer schnellen Zunahme in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erreichten die Hauptkanäle langsam ihre maximale Ausdehnung. Während einer ziemlich langen Periode lag die Gesamtlänge bei etwa 150 km, während sich die Struktur des Kanalnetzes stark veränderte. Nach dem 80-jährigen Krieg betrug die Gesamtlänge zirka 70 km. Zwei Kanäle waren noch bis 1733 bzw. 1744 in Betrieb. In den Abbildungen 11-15 ist die Entwicklung der Torfkanalsysteme schematisch dargestellt. Um 1300 lagen die wenigen Kanäle hauptsächlich im niedrigeren Teil des Untersuchungsgebietes. Hundert Jahre später hatte das Kanalnetz sich verdichtet und war in die angrenzenden höheren südlichen Teile vorgerückt.

Im 15. Jahrhundert wurde besonders das mittlere Gebiet für die Torfproduktion erschlossen. Man baute lange Kanäle, die bis auf 16 m über NN vordrangen. Im Norden aber gerieten viele Kanäle außer Betrieb, so daß sich das Kanalnetz in südlicher Richtung verschob. Kurz nach der schlimmsten Periode des 80-jährigen Krieges wurden 1615 die damals wichtigsten Kanäle restauriert. Es waren dann nur noch drei Torfkanalsysteme in Betrieb: die miteinander verbundenen Systeme von Roosendaal und Leur und das von Dongen im Nordosten. Drei Jahre später begann man mit dem Bau eines ganz neuen Torfkanals von Breda nach Südwesten. 1715 erreichte dieser Kanal seine größte Länge. Daneben wurde nur noch das 1710 verlängerte Kanalsystem von Roosendaal genutzt.

4. Erhaltene Reste von Kanälen und ihre Formen

Vor 240 Jahren wurde der Torftransport durch die Torfkanäle in Brabant beendet. Was erinnert uns noch an dieses alte Verkehrssystem? In Abbildung 16 ist eine typische Landschaft im ehemaligen Moorgebiet um 1850 dargestellt. Die Torfkanäle sind noch manchmal dank ihrer linearen Formen zu erkennen. Eine Reihe von parallelen Linien, wie Parzellengrenzen, Hecken, Wälle, Straßen und Gräben deutet in der Landschaft auf die Trasse eines alten Torfkanals hin. Bei "A" sehen wir eine solche Trasse des alten Kanals "De Oude Moervaart", der von dem Moor "De Nol" über Nispen nach Roosendaal führte. Im Süden finden wir den Kanal in Gestalt eines Grabens, der in einem Heidegebiet verschwindet. An anderen Stellen ist es ein Feld- und Waldweg, ein Wall bei Nispen und schließlich eine Straße mit Graben durch die Roosendaaler Heide. Dort mündete dieser Kanal im Hauptkanal von Roosendaal nach Nieuwmoer (Neu-Moor) aus. Nördlich von Nieuwmoer ist deutlich zu sehen, wie noch viele andere Kanäle in diesem Hauptkanal zusammenkamen.

Die Identifizierung derartiger Linien als alte Torfkanäle basiert immer auf Gelände- und Archivforschung. So gibt es zum Beispiel keine Hinweise, um die beiden Linien "B", die parallel am Oude Moervaart verlaufen, als alte Torfkanäle zu deuten.

Wie wir bereits gesehen haben, kann derselbe Kanal in verschiedenen Erhaltungsstadien vorkommen. In Etten liegt das Monikkenriool. Dies ist ein sehr gut erhaltener 685 Jahre alter Kanal. Zwei Straßen und eine Baumreihe flankieren das Wasser (Abb. 4). Diese Baumreihen sind, besonders in einer offenen Landschaft, sehr dominante Elemente von großer historischer Bedeutung. Auch ohne einen gut erhaltenen Kanal haben diese Baumreihen noch ihre Funktion behalten. Dort, wo ein alter Torfkanal nicht ins Entwässerungssystem paßt, führt er kein Wasser mehr, wie der Kanal Nol-Nieuwmoer. Dann entsteht die Gefahr, daß der Kanal zugeschüttet wird, um die landwirtschaftliche Fläche zu erweitern. Dies geschah zum Beispiel mit dem nördlichen Teil des Ettener Monikkenriool. Dieser Kanalteil wurde mit den beiden "vaartkanten" in eine lange Ackerparzelle umgewandelt (Abb. 17). Diese Parzelle durchquert eine alte Streifenflur. So konnten wir den alten Kanal weiter verfolgen, bis wir die Umschlagstelle, die als eine unregelmäßige Parzelle zu erkennen ist, fanden. Nicht weit von dieser Stelle mündete der Kanal in den Fluß "De Mark", der dort stark verlandet ist. An vielen anderen Orten wurden die alten Kanäle in Landstraßen oder auch in Hauptstraßen umgewandelt, wie der 700-jährige Hauptkanal östlich von Zevenbergen. Von den Schleusen und Aquädukten ist wenig erhalten geblieben. Nur bei Nispen befindet sich ein Damm, worüber ein Kanal lief, der etwas weiter östlich mit Hilfe eines Aquäduktes einen Bach querte.

In den Hafenorten an den Endpunkten der Kanäle blieben im Straßenplan die Grundrisse der alten Häfen bis zum modernen Stadt- und Industrieausbau erhalten. In Bergen op Zoom durchquerte der Torfkanal die Altstadt, bis er mit Häusern überbaut wurde. Dieser Kanal, De Grebbe, mündete in den Außenhafen. 1529-1530 wurde ein neuer Unterlauf durch den nördlichen Stadtgraben geschaffen. Dieser Unterlauf endete neben dem neuen Umschlagplatz oder "Anthoofd". Man verfügte nun über zwei getrennte Kanäle: den Außenhafen und den Torfkanal. Beide waren durch den Umschlagplatz voneinander getrennt (Abb. 18; nach Van Ham und Van Deventer).

Dieser Typ finden wir auch in anderen Orten (Abb. 19). In Roosendaal endete der Torfkanal in einem U-förmigen Umschlagplatz, der wiederum von einem U-förmigen Außenhafen umgeben wurde. In Oudenbosch war die Situation genauso wie in Bergen op Zoom. In Leur lag der Umschlagplatz zwischen zwei Torfkanälen, die beide eine offene Verbindung mit dem Außenhafen hatten. Die beiden letzten Beispiele sind noch im Straßengefüge erkennbar. In Roosendaal verlandete hier ganz, und der Hafen wurde vor wenigen Jahren zugeschüttet und in einen Marktplatz umgewandelt.

Die Umschlagplätze im ländlichen Gebiet wurden nicht überbaut. Sie sind jedoch oft durch die eingreifenden Folgen der Flurbereinigungen egalisiert und verschwunden. Nur an einer Stelle, wo ein Torfkanal über eine Strecke von 600 m einen Höhenunterschied von 8 m überwand, ist der Umschlagplatz noch ziemlich gut erhalten. Ohne archäologische Untersuchungen können wir nichts über die technische Lösung der Überwindung dieses Höhenunterschiedes sagen. Es wäre möglich, daß es hier einen Umschlagplatz zwischen einem höher und einem niedriger gelegenen Kanal gab. Eine andere Möglichkeit wäre, daß sich hier eine Reihe von Schleusen befand. Heute ist dieses Gebiet bewaldet.

5. Gründe für die Erhaltung der Torfkanäle

Torfkanäle waren künstlich gebaute Wasserwege, die nur bei guter und regelmäßiger Unterhaltung für ihre Funktion geeignet blieben. Bestimmte Kanäle funktionierten bereits seit 1400 und andere dagegen erst seit 1700 nicht mehr. Es wäre zu erwarten, daß die Kanäle, die seit 1400 nicht mehr in Betrieb waren, am meisten verkümmert sind. Dies ist nicht der Fall. Von zwei Kanälen, die vor 700 Jahren gegraben und vor 500 Jahren stillgelegt wurden, ist einer noch gut erhalten, der andere ist in eine Straße und einen Marktplatz umgewandelt. So ist es nicht nur der Faktor "Zeit", der die Art und Weise der Erhaltung bestimmte. Ein anderer bereits erwähnter Faktor bezieht sich auf die Funktion, die die Kanäle im neu eingerichteten Entwässerungssystem des abgegrabenen Moorgebietes erfüllten. Wenn sie eine derartige Funktion innehatten, wurden sie auch gut unterhalten. Ein anderer Faktor ist, ob das Moor nach der Abgrabung direkt oder erst später urbar gemacht wurde. Manchmal kauften die Torfunternehmer nur das Moor. Damit hatten sie keinen Anspruch auf den Grund und Boden. Hierdurch wurde die Kultivierung nicht gefördert. Im abgegrabenen Gebiet konnte sich dann eine Heidevegetation entwickeln. Die relativ niedrig gelegenen Teile wurden unter Wasser gesetzt, um als Wasserreservoire für die Torfkanäle zu fungieren.

Unter derartigen Umständen verschwanden im Laufe der Zeit viele Spuren der Torfproduktion und des Torftransports. Dies gilt auch für die Kanäle allgemein und sogar auch für die Kanäle, die zwischen zwei Dämmen lagen. Die eben angesprochenen Gebiete wurden erst nach 1900 kultiviert. Wegen der bei der Kultivierung entstandenen rationellen Parzellierung erinnert in dieser Landschaft nichts mehr an die einstige Torfproduktion.

Bessere Überlebenschancen hatten die Torfkanäle in Gebieten, wo das Moor zusammen mit dem darunterliegenden Sandboden verkauft wurde. Dort versuchten die Moorkäufer, wenigstens die Restböden direkt urbar zu machen. Die Infrastruktur der Torfproduktion mit den Haupt- und Nebenkanälen, Entwässerungs- und Grenzgräben, die dann schon bis in den Sandboden hinein gegraben waren, fungierten als Basis für die Erschließung und Parzellierung des Gebietes. So finden wir noch Sandgebiete mit einer typischen Moorparzellierung, die wie in den altbesiedelten Sandgebieten oft mit Bäumen und Sträuchern ausgestattet waren. In Abbildung 16 ist ein typisches ehemaliges Moorgebiet um 1850 dargestellt. Die um 1460 gegrabenen Kanäle bei Nieuwmoer wurden bei der Kultivierung in Straßen umgewandelt. Etwas weiter östlich sehen wir noch offene Torfkanäle, die im frühen 18. Jahrhundert gegraben wurden und an den Torfkanal nach Breda anschließen. Hiervon sind zwei Kanäle in Straßen umgewandelt, wovon eine im Sommer, wegen des trockenen Sandes, kaum begehbar ist. Die anderen Nebenkanäle sind nun normale Entwässerungsgräben. Südlich der Grenze liegt ein Gebiet, das vor 1580 abgetorft wurde. 1850 erinnerte dort nur sehr wenig an die vergangene Torfabbaugeschichte. Die Kultivierung und Flurbereinigung im Jahre 1928 hat hier sogar die kleinste Erinnerung vernichtet.

Von West nach 0st liegen nördlich von Roosendaal die Heulande im breiten Tal des Roosendaaler Baches, ein 1000 bis 1500 m breites altes besiedeltes Gebiet mit einer unregelmäßigen Parzellierung, vielen Äckern sowie Bäumen und Sträuchern auf den Parzellengrenzen. Östlich dieses Gebietes liegt das Alte Moor, ein in Streifenparzellen aufgeteiltes Gebiet. Hier konnte man 1850 die Torfabbaugeschichte noch gut aus der Landschaft entnehmen. Zwei Torfkanäle durchquerten das alte Siedlungsgebiet. Der südliche Kanal mündete im Exporthafen von Roosendaal. Dieser Kanal war noch mit dem nach Nieuwmoer verbunden. Der zweite Kanal lag bei Klein Kalfsdonk und hieß Doorlechtse Vaart. Beide Kanäle wurden zwischen 1270 und 1280 in das nördöstlich von Roosendaal gelegene Moor gegraben. Dieses Moor wurde in 8 Blöcke von jeweils zwölf Hufen (112 mal 1350 m) aufgeteilt. 1290 wurden die Blöcke zwischen den Territorien von Breda und Bergen op Zoom verteilt. Die Grenze bildet heute noch die Stadtgrenze. Um 1400 war bereits ein Teil des abgetorften Gebietes kultiviert. Hierdurch blieb besonders im nördlichen Teil die Parzellierung aus dem 13. Jahrhundert noch sehr gut erhalten. In südöstlicher Richtung ist sie unter Flugsand verschwunden. Südlich der Sandaufschüttung erscheint die Parzellierung dann wieder.

Im niedrig gelegenen nördlichen Teil des Untersuchungsgebietes ist nur noch von einem einzigen Torfkanal eine Spur erhalten. Hier sank der Boden durch die Entwässerung und die Moorabgrabung für die Torf- und Salzproduktion so stark, daß das Meer in dieses Gebiet einbrechen konnte. Aufgrund zahlreicher Archivdaten konnte Abbildung 21 hergestellt werden, die zeigt, wie dieser Prozeß sich in 150 Jahren vollzogen hat. Das Meereswasser überschwemmte das Moor und lagerte eine mächtige Kleischicht ab. Durch bestimmte Torfkanäle konnte das Meer bei Sturmfluten tief eindringen. Sogar Flüsse bekamen durch Meereseinbrüche einen anderen Lauf. Der alte Fluß "De Mark" verlandete und fließt nun durch ein solches neues Flußbett, das in die Dintel einmündet. Nachdem Teile dieses Gebietes etwa 100 Jahre lang unter Gezeiteneinfluß standen, war die Kleischicht durch Ablagerungen so angewachsen, daß sie bei Flut nicht mehr überschwemmt wurde. Dann wurden diese Gebiete eingedeicht. In den neuen Poldern war das Moor von der Kleischicht ganz bedeckt. Nachdem die früh überschwemmten Gebiete im Westen schon als Seepolder eingedeicht waren, kam es im Osten noch weiter zu Überschwemmungen. Aufgrund dieser Beobachtungen meinen wir, daß der Überschwemmungsprozeß nicht von einem allgemeinen Steigen des Meeresspiegels, sondern von lokalen Bodensenkungen verursacht wurde. Diese Bodensenkungen waren die Folgen der Entwässerung des erschlossenen Moores.

Wir finden also vier Faktoren, die Art und Form der Erhaltung der Torfkanäle beeinflußten:

Zusammenfassend können wir sagen, daß die Torfkanäle es ermöglichten, die ganze Moorschicht im höheren Teil des Untersuchungsgebietes abzutorfen. Dagegen führten sie im niedrigen Teil zu katastrophalen Meereseinbrüchen. Im höheren Teil war der Düngertransport durch die Kanäle für die Urbarmachung von relativ kleinen abgetorften Gebieten von Bedeutung. Besonders die gut erhaltenen Torfkanäle mit ihren Baumreihen sind noch immer wichtige Elemente in der Kulturlandschaft. Wir hoffen deutlich gemacht zu haben, daß es keineswegs selbswerständlich ist, daß die Verkehrssysteme aus der Periode der Moorabgrabung solche deutlichen Spuren in der Kulturlandschaft hinterlassen haben, wie dies in den Fehnkolonien der nordöstlichen Niederlande der Fall ist.

Literatur

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Verhulst, A.: Het landschap in Vlaanderen in historisch perspectief. Antwerpen 1964.

Noten

1) Dem Beitrag liegt ein Vortrag auf der 12. Tagung des Arbeitskreises für genetische Siedlungsforschung in Mitteleuropa (Rendsburg, 25. - 28. September 1985) zugrunde. Vergleiche dazu auch den Tagungsbericht von K. Fehn in : Siedlungsforschung. Archaologie - Geschichte - Geographie 4, 1986.

2) Diese Untersuchung wurde inzwischen mit dem Geschichtspreis 1985 der "Gemeentekrediet van Belgiën" ausgezeichnet, die dieses Werk in ihrer historischen Schriftenreihe herausgeben hat.

Version augustus 2, 2023 KL


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